Auf den Ghats von Varanasi

Heute morgen schauen wir schon deutlich frischer aus der Wäsche. Gemütlich knotzen wir noch ein wenig im Bett herum. Dann gehen wir einkaufen. 

 

Es ist heute erschreckend kalt. Ihr vom europäischen Winter Geplagten werdet uns zwar würgen, aber 19 Grad bei Nebelgrau sind einfach huscherlkalt! Eine zweite lange Hose muss her, damit die erste in die Wäsche darf. Und auch Flip-Flops finden wir endlich als Ersatz für Karins geliebte Flippls, die in Afrika verblieben sind. Schon sind 6 Euro nutzbringend ausgegeben. Für beides zusammen.

 

 

                                     Straßenverkäufer beim Zubereiten der nächsten Mahlzeit
Straßenverkäufer beim Zubereiten der nächsten Mahlzeit

 

 

Dann machen wir uns auf, um die Ghats zu erkunden. Varanasi ist ja eine heilige Stadt. Die gläubigen Inder glauben ja, dass, wenn man in Varanasi verbrannt wird, die Seele befreit wird und nicht mehr wiedergeboren werden muss. Die heilige Stadt liegt am heiligen Fluss Ganges, und die Stufen, die zum Ganges führen, sind die Ghats.

 

 

Manche dienen als Verbrennungsstätten. Es gibt Plattformen, von denen man die „Begäbniszeremonie“ beobachten kann. Wir schlendern hinunter zu den Verbrennungen. Ein wenig abseits bleiben wir stehen, um nicht zu stören. Ein junger Mann kommt auf uns zu und begrüßt uns freundlich. Der Verstorbene sei sein Opa gewesen und unglaubliche 100 Jahre alt gewesen. Freundlich erklären er und sein Vater uns die Zeremonie. Dann hätten sie gerne ein Selfie mit uns! Also fragen wir dann auch, ob wir fotografieren dürfen. Ja sicher! Denn sonst hätten wir sicher nie diese anrührenden und persönlichen Fotos gemacht.

 

Der Verstorbene wartet in ein oranges Tuch gehüllt, auf einer Holzbahre, bis genug Holz herbeigeschafft worden ist. Es sind nur Männer anwesend, denn indischen Frauen ist es verboten, hier zu sein. Karin fragt, ob sie weggehen soll, aber – nein, kein Problem, du bist ja keine Inderin. Die Männer sind Familienmitglieder. Der Haupttrauernde legt seine Kleidung ab und hüllt sich in ein weißes Tuch. Er wäscht sich die Füße im Ganges. Die Haare werden ihm bis auf eine kleine Strähne geschoren. Nach zehn Tagen werden sich auch die anderen Männer das Haar abrasieren lassen. Der Tote wird von den Verwandten auf den Scheiterhaufen getragen. Zuvor wird das orange Tuch abgenommen, der Körper bleibt aber in ein weißes Tuch gehüllt. Noch ein letztes Mal berührt, ob wirklich kein Leben mehr in ihm ist... Kopf und Beine ragen aus dem Holzhaufen heraus. Das Holz ist weiter hinten auf einem riesigen Haufen aufgeschlichtet, die Leute müssen es kaufen. 

 

 

Dann wird Holz darübergeschichtet. Sägespäne und etwas, das aussieht wie Ghee (ungefähr Schmalz) wird daraufgegeben, damit es leichter brennt. Der Haupttrauernde nimmt ein großes Bündel Gras und umrundet den Haufen, die Verwandten folgen ihm. Dann entzündet der Haupttrauernde den Haufen. Zuvor wurden noch jede Menge Fotos von den Verwandten gemacht: Gruppenbild mit Leiche sozusagen.

 

 

Einige Stunden werden vergehen, bis das Meiste verbrannt ist. Es ist nicht nur die eine Verbrennung im Gange, andere sind schon weiter fortgeschritten. Die Asche kommt nachher in den Ganges. Nicht immer ist alles verbrannt, auf einem Aschenrest ist noch ein Knochenteil sichtbar. Hunde, Kühe, Ziegen und Schafe suchen dazwischen nach Futter. Rundherum viel Müll in offenen Gräben. Nichts Feierliches. Alltag…

 

Kinder werden nicht verbrannt, sie werden in der Erde begraben.

 

Danach schlendern wir noch weiter über die Ghats. Da Nachmittag ist, ist nicht viel los. Die Inder kommen am Morgen, um sich im heiligen Fluss zu waschen. Denn ein Bad im heiligen Fluss reinigt den Körper von allen Sünden. Was die Coli-Bakterien mit dem Körper tun, kann man nur schätzen.

 

Am Hauptghat soll es auch eine Abendzeremonie geben, aber das verschieben wir auf morgen, da sich Karl noch schwach fühlt. An der Ecke zu unserer Herberge ist ein Tempel. Karin steht fasziniert und schaut, wie die Leute vorbeigehen, sich mit gefalteten Händen verbeugen. Diejenigen, die bleiben, ziehen die Schuhe aus, ziehen eine Glocke am Strang, nehmen ein in Schälchen schwimmendes Licht, schwenken es, drehen sich damit einmal im Kreis, schwenken wieder das Licht, stellen es zurück. Die Hand berührt die Rosenblätter in der Schale, dann den Kopf, überkreuz auch die Ohren. Dann ziehen sie noch einmal die Glocke und gehen wieder. Religiöser Gesang kommt vom Band. Es ist immer so eine friedliche und positive Stimmung.

 

Bang denken wir daran, dass gestern Halbzeit war. Jetzt wird unsere Reise mit jedem Tag kürzer (vorher natürlich auch). Was haben wir nicht schon alles gesehen. Die großartigen Tage auf dem Rad, die freundlichen Menschen in Rumänien, unsere liebe Türkei. Und obwohl Karin sehr skeptisch war, haben wir es beide auf Meru und Kilimandscharo geschafft. Dann die großartigen Tiererlebnisse in Afrika, allen voran am Kwai River. Die vielen Nächte im Zelt; die vielen, vielen Stunden der Zweisamkeit, und noch immer gehen wir uns nicht auf den Keks. Die freundlichen Leute in Uganda und jetzt die vielen Gegensätze des Lebens in Indien; und wieder die freundlichen, kommunikativen Leute. Für uns war vielleicht die größte Überraschung der Reise, wie viele uns einfach ansprechen, um uns kennen zu lernen, um einfach freundlich zu sein, ohne etwas verkaufen zu wollen. Sie teilen ihr Essen mit uns, erklären uns vieles und sorgen dafür, dass wir uns eigentlich fast überall sehr sicher und willkommen fühlten.

 

 


Wir freuen uns über eure Kommentare, Anregungen, Fragen...

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Martina (Mittwoch, 04 Januar 2017 17:50)

    Schon irgendwie gruselig, man darf nicht darüber nachdenken, dass sich unter dem Tuch ein Mensch befindet.
    Wahnsinn, diese Gegensätze, vor ein paar Tagen habt ihr wunderschöne Bauten gesehen und wenige Tage später Müll im Fluss...